Interview mit der Generalsekretärin und Bundestagskandidatin der FDP Hessen

Quelle: https://www.hessen-depesche.de/interview/bettina-stark-watzinger-fdp-„wir-stehen-für-einen-handlungsfähigen-rechtsstaat,-aufstieg-durch-bildung-und-soziale-marktwirtschaft“.html

Bettina Stark-Watzinger (FDP): „Wir stehen für einen handlungsfähigen Rechtsstaat, Aufstieg durch Bildung und Soziale Marktwirtschaft“

Bad Soden – Als engagierte Kommunalpolitikerin hat sich Bettina Stark-Watzinger im Main-Taunus-Kreis bereits einen Namen gemacht – und ebenso auf Landesebene als Generalsekretärin der hessischen Liberalen. Nun kandidiert die 49-jährige Ökonomin und Unternehmerin zum dritten Mal auf der Landesliste der FDP für den Deutschen Bundestag. Aufgrund des Umfragehochs der Liberalen dürften die Bemühungen der Listenplatz-Vierten diesmal von Erfolg gekrönt sein. Wirtschafts-, Innen- und Bildungspolitik gehören zu den Schwerpunkten der liberalen Politikerin aus Bad Soden im Taunus. Darüber hat sich HESSEN DEPESCHE mit Bettina Stark-Watzinger unterhalten.
HESSEN DEPESCHE: Frau Stark-Watzinger, Sie kandidieren auf Platz 4 der hessischen FDP-Landesliste zur Bundestagswahl. In welchen Bereichen wollen Sie sich künftig bundespolitisch besonders engagieren – und wo sehen Sie da die größten Baustellen?

Bettina Stark-Watzinger: In einer Zeit, in der Wohlfühldebatten ablenken von dem, auf was es ankommt, braucht es eine Partei, die wieder die für die Zukunft unseres Landes wichtigen Dinge in den Vordergrund rückt. Nie gab es in Deutschland so viel Wohlstand. Aber in den letzten Jahren fällt Deutschland im internationalen Wettbewerb immer weiter zurück, rangiert beim Wachstum im europäischen Vergleich nur noch auf einem Mittelfeldplatz. Als Volkswirtin interessiere ich mich natürlich besonders für die Fragen des wirtschaftlichen Wohlstandes in unserem Land. Wir müssen die Fragen der Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes wieder in den Vordergrund stellen. In einer Zeit, in der die Opposition im Bundestag bei jeder neuen Staatsausgabe kritisiert, dass sie zu gering ausfällt, braucht es eine politische Kraft, die auch die neuen Ausgaben selbst hinterfragt. Es braucht eine Partei, die auf den einzelnen mehr setzt als auf den Staat, eine Partei, die Bildung zur ersten Priorität macht.

HESSEN DEPESCHE: Als Fraktionschefin der Bad Sodener FDP und Kreistagsabgeordnete im Main-Taunus-Kreis verfügen Sie über eine reichhaltige kommunalpolitische Erfahrung, die Sie zunächst mit einem Engagement auf Landesebene erweitern könnten. Warum zieht es Sie gleich nach Berlin in den Bundestag?

Bettina Stark-Watzinger: Für mich stand schon immer fest, dass ich einmal Volksvertreterin im Deutschen Bundestag sein möchte. „Gleich“ ist also relativ, denn diese Kandidatur für ein Mandat als Bundestagsabgeordnete ist meine dritte. Für mich ist es auch ein Stück Glaubwürdigkeit, bei diesem Ziel zu bleiben. Nichtsdestotrotz ist für mich die Arbeit in der Kommunalpolitik und auf Landesebene genauso wertvoll und wichtig. Das Wissen und die Erfahrung, wie sich Politik auf kommunaler Ebene anfühlt, wenn im Bundestag etwas entschieden wird, machen mich hoffentlich zu einer überlegteren Politikerin.

HESSEN DEPESCHE: Die letzten Umfragen zur Bundestagswahl sehen die FDP bei 8% (Emnid) bzw. 9% (Allensbach) und damit klar im Bundestag. Was waren Ihrer Meinung nach die hauptsächlichen Gründe dafür, dass die Liberalen 2013 aus dem Bundestag geflogen sind – und was macht die FDP jetzt besser?

Bettina Stark-Watzinger: Wir sind eine Partei der Eigenverantwortung. Deshalb haben wir nach dem Ausscheiden aus dem Deutschen Bundestag die Schuld nicht bei den anderen gesucht, sondern unsere Fehler aufgearbeitet. Es gab im Vorfeld zu viele Versprechen, die dann nicht eingehalten wurden, und unsere Wähler hatten das Gefühl, dass wir uns allzu willig zum Steigbügelhalter der Union gemacht haben, ohne unseren eigenen Positionen treu zu bleiben. Nach der „roten Karte“ durch die Wähler sind wir nicht populistisch nach rechts oder links geschwenkt, sondern haben uns auf unsere Wurzeln besonnen. Wir wollen den Einzelnen in der Gesellschaft stark machen. Dieses optimistische Menschenbild stellen wir der Politik anderer Parteien entgegen, die sagen: Du bist zu schwach oder zu dumm, der Staat muss dir sagen, was richtig ist. Wir sagen klar wofür wir stehen – einen handlungsfähigen Rechtsstaat, Aufstieg durch Bildung sowie die Soziale Marktwirtschaft als Basis für die Zukunft in unserem Land. Und wir zeigen Respekt vor der Leistung der Menschen. In den ersten Monaten in diesem Jahr sind so viel neue Mitglieder wie noch nie in unsere Partei eingetreten. Das spornt uns an. Es gibt genug Menschen in unserem Land, die eigenständig leben und die Zukunft gestalten wollen, statt die Gegenwart zu verwalten.

HESSEN DEPESCHE: Sie werben auf Ihrer Homepage mit „starken liberalen Standpunkten“. Wie sehen die beispielsweise in der Bildungspolitik aus?

Bettina Stark-Watzinger: Bildung ist die Grundlage für ein selbstbestimmtes Leben. Obwohl Bildung wesentlich über die Zukunftschancen der Menschen bestimmt, wird sie von staatlicher Politik vernachlässigt: Marode Schulgebäude, veraltete Ausstattung, häufige Unterrichtsausfälle, Abhängigkeit des Bildungserfolgs vom sozialen Status der Eltern und mittelmäßiges Abschneiden deutscher Schüler in internationalen Vergleichsstudien – all das ist Realität. Statt weniger, lassen wir mehr Kinder zurück. Das wollen wir ändern. Möglichkeiten dazu gibt es genug: Ein vielfältiges Bildungssystem, das eine bestmöglich Durchlässigkeit garantiert. Mehr Freiheit für die Schulen, damit Freude am Lernen, Kreativität und Leistungswille gefördert werden. Schulen dürfen digital und personell nicht weiter zwei Stufen hinterherhinken. Dabei haben wir Respekt vor der Leistung der Schüler in jeder Schulform. Jeder der sich anstrengt, der hinterher einen Beruf ausübt – sei es mit Masterabschluss oder als Meister – ist für unsere Gesellschaft wichtig.

HESSEN DEPESCHE: Wo bestehen denn derzeit im Bereich Bildung auf Landesebene in Hessen und auf Bundesebene die größten Defizite?

Bettina Stark-Watzinger: Es gibt viel zu tun. Und das fängt bei der Ausstattung der Schulen an. Dabei meine ich nicht gleich freie Tablets für alle, sondern ganz grundlegende Dinge wie anständige Tische, Stühle, Lehrmaterialien etc. Es gibt immer noch Schüler, die mit Büchern unterrichtet werden, in denen es auf den Landkarten noch das geteilte Deutschland gibt. Um aber auf das Tablet zurück zu kommen: Weltbeste Bildung gelingt nicht mit der Technik von gestern. Seien wir mutig und verringern den Abstand zwischen Lern- und Lebenswelt der jungen Menschen und nutzen wir die Chancen der Digitalisierung auch in der Bildung. Aber es geht auch nicht nur um die Ausstattung der Schulen. Immer noch haben zu viele Lehrkräfte nur Zeitverträge – Hessen ist nach Baden-Württemberg trauriger Spitzenreiter. Personalmangel, steigende Heterogenität in der Schülerschaft sowie Inklusion sind aktuell die zentralen Themen. Die derzeitige Politik der schwarz-grünen Landesregierung mit mehr Aufgaben bei gleichen Ressourcen und mangelndem Personal ist in Wirklichkeit ein Abbau von Bildung. An guter Bildungspolitik muss sich jede Landesregierung messen lassen.

HESSEN DEPESCHE: Überzeugt Sie der sogenannte „Pakt für den Nachmittag“ von Kultusminister Alexander Lorz (CDU), der die Ganztagsschule in Hessen voranbringen soll?

Bettina Stark-Watzinger: Der „Pakt für den Nachmittag“ ist vom Grundsatz keine schlechte Idee, jedoch hat die Umsetzung weder Hand noch Fuß. Fachleute sagen uns, dass reine Betreuungsangebote im Ganztagsbereich nicht ausreichen. Wir brauchen Schulen mit einem pädagogisch organisierten Ganztagsangebot, also ein echtes Schulangebot bis in den Nachmittag. Zuallererst muss man sich dann fragen, wo soll plötzlich so viel qualifiziertes Personal herkommen, damit die Kinder den Nachmittag über pädagogisch betreut werden? Das ist bei den meisten Schulen das größte Problem. Man hört auch immer wieder, dass der politische Druck die Ministerlösung umzusetzen, so stark war, dass bereits vorhandene private Programme oder der Wunsch der Eltern individuelle Lösungen anzubieten, die ihrem Tagesablauf und ihrem Wunsch nach einer eigenen, persönlicheren Kinderbetreuung entsprechen würden, einfach übergangen wurden. Politik 2017 sollte anders aussehen. Hessen hätte einen Teil der frei werdenden Mittel aus der Übernahme der Bafög-Kosten durch den Bund für Investitionen in diese Aufgabe zum Wohl der Schüler nutzen können. Das ist nicht geschehen und zeigt den Stellenwert, den Bildung in der schwarz-grünen Landesregierung hat.

HESSEN DEPESCHE: Einige Ihrer liberalen Parteifreunde sprechen sich inzwischen für gebührenfreie Kitas aus, allen voran Michael Schüßler, Erster Stadtrat in Rodgau, wo ein entsprechendes Angebot bereits besteht. Halten Sie dieses Modell flächendeckend in Hessen oder sogar auf Bundesebene für realisier- und finanzierbar?

Bettina Stark-Watzinger: Bevor wir von Finanzierung sprechen, sollten wir erst einmal überhaupt darüber reden, dass immer noch Betreuungsplätze für z.B. unter Dreijährige fehlen. Ich erlebe es in meinem persönlichen Umfeld, dass frisch gebackene Eltern keine Betreuungsplätze bekommen und damit beruflich Einschnitte hinnehmen müssen. Das trifft immer noch mehr Frauen als Männer. Von einer Vereinbarkeit von Beruf und Familie kann daher keine Rede sein. Prinzipiell ist es richtig, Kitas ebenso wie Schulen und Hochschulen als Bildungsort anzusehen und in Zukunft ebenfalls kostenfrei zu stellen. Jedoch müssten zugleich auch die Anstrengungen verstärkt werden, die Kitas zu Stätten frühkindlicher Bildung auszubauen. Jeder von uns wird in Umstände geboren, die er sich nicht aussucht. Wir wissen heute, dass die Grundlagen für späteren beruflichen Erfolg, Gesundheit und vieles mehr in der frühen Kindheit gelegt werden. Wenn wir unser Aufstiegsversprechen in der Gesellschaft wahrmachen wollen, müssen wir daher nicht nur über die Zahl der Plätze, sondern auch über die Qualität der Betreuung sprechen. Es bleibt also noch viel zu tun.

HESSEN DEPESCHE: Sie haben davor gewarnt, dass die Türkei unter Erdogan zu einer „islamistischen Präsidialdiktatur“ werden könnte. Die FDP in Rödermark fordert, wegen des Ergebnisses des Verfassungsreferendums die Städtepartnerschaft mit einer türkischen Kommune abzulehnen. Ist es wirklich liberale Politik, sich so sehr in die Angelegenheiten eines anderen Staates einzumischen?

Bettina Stark-Watzinger: Jemanden für ein Handeln, das man falsch findet, zu kritisieren, ist noch lange nicht einmischen. Das ist Meinungsfreiheit. Und es geht darum, die Beziehungen zu dem Land klarzustellen. Wenn das Referendum Bestand hat, kann die Türkei kein Mitglied der EU werden. Ein Land mit einer solchen Verfassung steht im Widerspruch zu unseren Werten. Mit dem Referendum hat sich die Türkei auch gegen die EU entschieden – und die EU-Vorbeitrittshilfen müssen gestoppt werden. Es geht nicht darum, alle Brücken abzubrechen, sondern vielmehr eine ehrliche, pragmatische Zusammenarbeit zu finden. Als Liberale stehen wir weiterhin fest an der Seite der türkischen Zivilgesellschaft und der demokratischen Kräfte, deren Situation jetzt noch schwieriger geworden ist. Das Land ist tief gespalten. Trotz massiver Drohungen und Repressionen konnte das Lager von Erdogan nur knapp die Mehrheit erringen. Ob eine Städtepartnerschaft die demokratischen Kräfte vor Ort stärkt, muss im Einzelfall entschieden werden.

HESSEN DEPESCHE: Rund 63 Prozent der türkischen Staatsbürger in Deutschland, die ihre Stimme abgegeben haben, votierten für das Verfassungsreferendum. Die Zustimmung war damit weitaus größer als in der Türkei selbst. Welche Schlüsse müssen wir daraus innenpolitisch ziehen?

Bettina Stark-Watzinger: Es kann uns nicht egal sein, dass in Istanbul und Ankara das Referendum keine Mehrheit gefunden hat, in allen Wahllokalen in Deutschland aber schon. Die Menschen, die in einem liberalen Land wie Deutschland dafür votieren, in der Türkei die Freiheit abzuschaffen oder einzuschränken, haben offensichtlich unsere Werteordnung nicht akzeptiert. Ich bin allerdings dagegen alle Deutschtürken in einen Topf zu werfen. Man kann die Zahlen in den Medien aber auch anders analysieren. Denn umgerechnet auf alle in Deutschland lebenden türkischstämmigen Menschen haben nur 14% für das Präsidialsystem gestimmt. Weniger als die Hälfte der Deutschtürken sind überhaupt zur Wahl gegangen. Für mich ein Zeichen, dass das, was in der Türkei passiert, sie nicht interessiert, weil es sie nicht betrifft. Es gibt genug, die gerade wegen der freiheitlichen Gesellschaft, den Weg nach Deutschland gefunden haben. Trotzdem haben wir bei einem kleinen Teil eine Integrationsproblematik. Hier muss klar sein, dass das Zusammenleben in unserer Gesellschaft auf unserer liberalen Werteordnung und auf dem Grundgesetz basiert.

HESSEN DEPESCHE: Bleibt abschließend noch die Frage, in welcher Konstellation Sie nach der Bundestagswahl am liebsten in eine Regierung eintreten würden. Tendieren Sie eher zur Union – oder wäre für Sie auch ein Bündnis mit der SPD und gegebenenfalls den Grünen denkbar?

Bettina Stark-Watzinger: Wir sind erst einmal eine eigenständige Kraft. Das ist keine Überheblichkeit, aber wir haben aus den letzten Wahlen gelernt. Die Menschen wählen uns wegen unserer Themen. Und ihre Stimme ist ein Auftrag an uns. Deshalb sind wir nicht einfach ein Mehrheitsbeschaffer für andere Parteien. Ein Wunsch-Bündnis habe ich nicht. Die Wähler können lesen. Die Schnittmengen in der Sache sind zwischen FDP und Union sicherlich am größten. Wir werden aber nur mit denen regieren, die bereit sind, mit uns Bildung zum Thema Nr. 1 zu machen und an der Erneuerung und Wiederherstellung der Sozialen Marktwirtschaft zu arbeiten.

HESSEN DEPESCHE: Frau Stark-Watzinger, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Zur Person: Bettina Stark-Watzinger wurde am 12. Mai 1968 in Frankfurt am Main geboren und wuchs in Bad Soden im Taunus auf. Nach der Schule absolvierte sie ein Studium der Volkswirtschaftslehre in Mainz und Frankfurt, das sie mit dem Diplom abschloss. Heute arbeitet die verheiratete Mutter von zwei Kindern, die nach einem längeren Aufenthalt in London wieder in Bad Soden lebt, als Geschäftsführerin einer interdisziplinären Forschungseinrichtung. Politisch aktiv ist Bettina Stark-Watzinger derzeit im kommunalen Bereich und auf Landesebene. Seit der Kommunalwahl 2011 ist sie Vorsitzende der FDP-Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung von Bad Soden und gehört dem Kreistag des Main-Taunus-Kreises an. Ebenfalls seit 2011 ist sie Mitglied des Landesvorstandes der FDP Hessen sowie Kreisvorsitzende der FDP Main-Taunus. 2014 wurde sie zur stellvertretenden Landesvorsitzenden gewählt, ein Jahr später folgte die Berufung zur ersten Generalsekretärin der der Freien Demokraten in Hessen. Bettina Stark-Watzinger kandidiert in diesem Jahr zum dritten Mal auf der Landesliste der FDP Hessen zur Bundestagswahl. Weitere Informationen unter: www.stark-watzinger.de